Er blickt den Betrachter ernst an. Freundliche Augen, Brille – um die 30 Jahre alt. Die Kleidung verrät seinen Beruf: Priester. Das Schwarzweißfoto zeigt Kaplan Alfons Versen. Geboren wurde er am 24.2.1913 in Istrup bei Brakel (Bistum Paderborn). Mit zwölf Jahren besuchte er das Missionshaus St. Xaver in Bad Driburg. Später wechselte er zur Missionsschule St. Michael in Steyl und machte dort sein Abitur. 1933 schloss er sich den Steyler Missionaren an, legte 1935 sein erstes Gelübde ab und studierte erfolgreich Theologie und Philosophie. Am 10. September 1939 wurde er zum Priester geweiht und wollte in die Mission nach China. Nach China? Was war das für ein Ausbildung?
Der Orden der Steyler Missionare, eigentlich die „Gesellschaft des Göttlichen Wortes“, wurden von Arnold Janssen 1875 als Ausbildungsort für Missionare gegründet. Steyl liegt ganz dicht an der deutsch-niederländischen Grenze und ist heute ein Stadtteil von Venlo. In Deutschland tobte der „Kulturkampf“. Daher gründeten sich in dieser Zeit etliche deutsche Ordensgemeinschaften in den Niederlanden. Das Ordenshaus der Steyler Missionare war von Anfang an als internationale Gemeinschaft ausgerichtet und als Gemeinschaft von Brüdern und Priestern. Die Offenheit für Menschen anderer Kulturen und Nationalitäten wurde zu einem grundlegenden Charakterzug der von Arnold Janssen gegründeten Gemeinschaften. Schon ganz zu Beginn gaben die Steyler Missionare Zeitschriften heraus. Diese hatten eine sehr hohe Verbreitung innerhalb der deutschen katholischen Bevölkerung. Über die Zeitschriften ließ sich Geld akquirieren und junge Männer für die Mission gewinnen.
Doch warum kam Alfons Versen statt nach China nach Rhede? Die Antwort ist der Beginn des 2. Weltkriegs. Der junge Priester konnte nicht nach China einreisen. Vermutlich eine Katastrophe für den jungen Priester, der seit seinem 12. Lebensjahr dazu erzogen worden war, in die Mission zu gehen.
Und so kam dieser weltoffen erzogene Pater Versen als Kaplan nach Rhede. Er gewann schnell das Zutrauen vieler Jugendlicher und hielt Gesprächsrunden mit Erwachsenen. Die sehr beliebten Religionsstunden mit Kaplan Versen standen in Konkurrenz zur Rheder Hitlerjugend. „Er scheute sich nicht, die Fragwürdigkeit und Verderbtheit des Nationalsozialismus öffentlich anzuprangern“ (Johannes Fleckner und Helmut Moll).
1942 erhielt er vom Rheder Pfarrer Joseph Kreuzer die Erlaubnis, seine Familie in Istrup zu besuchen. Dort feierte er das sonntägliche Hochamt. In seiner Predigt sagte er etwa: „dass in seiner Heimat auch einige seien, die sich selbst erlösen wollten.“ (Anmerkung: Die Katholiken glauben an die Erlösung durch Gott). Er erhielt daraufhin Heimatverbot und musste Istrup innerhalb eines Tages verlassen. Kurz drauf wurde er zur Wehrmacht eingezogen. Über verschiedene Stationen kam er in die Nähe von Pleskau in eine Strafkompanie. Nach eigenen Angaben in Briefen musste er dort Arbeiten verrichten, „die sonst keinem Soldaten zugemutet wurden.“ Wahrscheinlich war das ein Racheakt wegen der öffentlich geäußerten Kritik am Nationalsozialismus und vielleicht auch ein bisschen Neid, denn in einem Brief vom 9. Januar 1944 aus Russland schreibt Versen: „Ich erhalte jetzt immer noch Weihnachtsbriefe, die schon Mitte November geschrieben worden waren. Es sind schon über 200 Weihnachtsbriefe, die ich bekommen habe. Auch habe ich an den vielen Päckchen gesehen, dass ich in Rhede und seinen Bauernschaften sehr viele Freunde und Gönner habe. Ich erhielt rund 35 Pakete. Die Kameraden waren sehr erstaunt und freuten sich, weil alle immer reichlich Nüsse dabei hatten. Sie können es gar nicht recht begreifen, dass die Katholiken ihre Priester so lieb haben.“
Wenige Tage zuvor hatte Pater Versen eine Klage eingereicht, weil er von zwei Offizieren geschlagen wurde, nachdem er einem sterbenden Soldaten auf dessen Wunsch das Sakrament der Krankensalbung gespendet hatte. Am 17.01.44 sollte die Verhandlung sein. Auf dem Weg dorthin wurde der 31jährige Versen und zwei weitere Soldaten wohl überfallen und ermordet. Er gilt seither als vermisst.
Heute ist in Rhede-Krechting eine Straße nach ihm benannt.
Die Hintergründe hat Franz Westhues anhand von Briefen und Postkarten erforscht, die Kaplan Versen an Alfons Tewinkel aus Rhedebrügge und weitere Personen schickte. Westhues sprach 2019-2021 mehrmals mit Renate Poeppe, der Nichte von Pater Versen aus Istrup. Sie war 1944 sechs Jahre alt und hat an ihren Onkel kaum persönliche Erinnerungen. Was sie weiß, hat sie von ihren Eltern und Großeltern.
Der Heimat- und Museumsverein besitzt mehrere Ordner mit Abschriften von Briefen und Fotos sowie weiteren Dingen des Kaplans.
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siehe unter Medizin- und Apothekenmuseum